Arbeitsgruppe SI2 Bonn, 1. März 2022
Durchwahl: AG-Leiter: MinR Wild Ref: ORR Dr. Borghoff ORR Dr. Ulitzsch
*** Vermerk ***
Laufzeitverlängerungen deutscher Kernkraftwerke Mit der nuklearen Sicherheit verträgliche Szenarien
Im Hinblick auf eine diskutierte Verlängerung der Laufzeit deutscher Kernkraftwerke stellen sich komplexe technische, ökonomische und rechtliche Fragen. Nachfolgend werden hinsichtlich des Betriebs von Kernkraftwerken in Deutschland, über das Jah- resende 2022 hinaus, aus technischer Sicht drei Szenarien diskutiert, die mit der Auf- rechterhaltung der nuklearen Sicherheit vereinbar wären. Für die Szenarien B und C ist jedenfalls eine Änderung des Atomgesetzes erforderlich. Darüber hinaus können sich ökonomische und rechtliche Fragen ergeben, die hier nicht adressiert werden. Betrachtet werden die drei Kernkraftwerke, die derzeit über eine Berechtigung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität verfügen. Dies sind die Anlagen KKI-2, GKN II sowie KKE. Hinsicht der Wiederaufnahme des Leistungsbetriebs von den drei Kern- kraftwerken, welche Ende des Jahres 2021 den Leistungsbetrieb endgültig eingestellt haben, stellen sich darüber hinausgehende technische Fragen, auf die hier nicht ein- gegangen wird.
Die GRS und S III 2 wurden beteiligt. Ausgangsbedingung:
Die nukleare Sicherheit in Deutschland stellt höchste Anforderungen an den Betrieb von Kernkraftwerken. Alle sicherheitstechnisch gebotenen Nachrüstungen und Ertüch- tigungen für den Betrieb der Kernkraftwerke wurden getroffen. Hierzu gibt es auf der generischen Ebene des Bundes die Werkzeuge der Weiterleitungsnachricht der Gesell- schaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) sowie die Stellungnahmen und Emp- fehlungen der Reaktor-Sicherheitskommission (RSK). Aus technischer Sicht müssen Kernkraftwerke auch gegen Ende ihrer Betriebszeit diesen höchsten Anforderungen gerecht werden.
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Die Reaktorkerne der drei Kernkraftwerke und die Planung der letzten Betriebszyklen sind derzeit auf ein Ende des Leistungsbetriebs ausgerichtet. Die in den Kernkraftwer- ken vorhandenen Brennelementbestände sind in Hinblick auf eine maximale Brenn- stoffausnutzung optimiert. Nach einer entsprechenden Abklingzeit sind die Brennele- mente für die Einladung in Lagerbehälter geeignet. Weitere Betriebszyklen sind nicht geplant und neue Brennelemente sind nicht vorrätig.
Die Frage, über welche Leistungsreserven die Kernkraftwerke KKI-2, KKE oder GKN II am Ende dieses Jahres 2022 verfügen, kann lediglich anlagenspezifisch beantwortet werden. Die Ausgangssituation der Kernkraftwerke ist insoweit unterschiedlich, als dass das Kernkraftwerk KKI-2 für das Jahr 2022 keinen Stillstand mehr geplant hat und bereits mit Blick auf die Abschaltung gegen Ende des Jahres einen relativ langen Betriebszyklus durchläuft. Die Kernkraftwerke KKE und GKN II planen nach Stillständen im Jahr 2022 jeweils einen relativ kurzen Betriebszyklus für den Rest des Jahres.
Die entsprechenden letzten Reaktorkerne der obigen Kernkraftwerke, sowie ihre zu- lässigen Einsatzbedingungen hinsichtlich der angesetzten Leistung und ggf. eines Streckbetriebs am Ende des Betriebszyklus wurden/werden in den jeweiligen Landes- verfahren behandelt. Dem BMUV liegen Informationen über die genauen Einsatzbedin- gungen für die drei Kernkraftwerke nicht vor. Da es sich nicht um gewöhnliche Be- triebszyklen während des Kernkraftwerkslebens handelt, sind generische Erfahrungen der bisherigen Betriebszyklen zur Leistungsausnutzung hier nur sehr eingeschränkt übertragbar.
Durch kontinuierliche Absenkung der Kühlmitteltemperatur und der Leistung kann der Betrieb für eine gewisse Zeit (bis zu ca. 80 Tagen) fortgesetzt werden. Diese Fahrweise wird als Streckbetrieb bezeichnet. Sofern Reaktorkerne während des regulären Be- triebszyklus mit geringerer Leistung betrieben werden, erhöht dies grundsätzlich die mögliche Länge des Betriebszyklus. Die genauen Einsatzbedingungen werden vor dem Einsatz für jeden Reaktorkern spezifisch festgelegt und geprüft.
Szenario A „Endgültige Abschaltung“
Es erfolgt die endgültige Abschaltung der drei Kernkraftwerke, wie sie im Atomgesetz vorgesehen und von den Betreibern geplant wurde.
Szenario B „Kurzzeitiger Weiterbetrieb der Kernkraftwerke (Monate)“
Zur Verbesserung der Versorgungssicherheit mit elektrischer Energie in Deutschland sollen die drei in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke einen Beitrag leisten. Die Betrei- ber der deutschen Kernkraftwerke werden gebeten zu prüfen, inwieweit ein Weiterbe- trieb mit vorhandenen Brennelementen unter Einhaltung der notwendigen Sicherheit,
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möglich wäre. Dies könnte grundsätzlich durch eine vollständige Ausnutzung des Streckbetriebs oder eine frühzeitige Leistungsreduktion erfolgen.
Szenario C „Langzeitiger Weiterbetrieb der Kernkraftwerke (Jahre)“
Kernkraftwerke sollen über mehrere Jahre weiter zur Versorgung mit elektrischer Ener- gie in Deutschland beitragen. Hierfür wären längerfristige Perspektiven für die Betrei- ber der drei deutschen Kernkraftwerke zu schaffen. Investitionen seitens der Betreiber der drei Kernkraftwerke wären erforderlich. Kurzfristig kann es zu Stillständen der Kernkraftwerke aufgrund mangelnder Versorgung mit Brennelementen kommen, bis deren Betrieb wie gewohnt fortgesetzt werden könnte.
Ob längerfristig ein unterbrechunggsfreier Betrieb erfolgen kann, ist ohne Klärung unter Beteiligung der Betreiber, Hersteller und Landesaufsichtsbehörden sowie deren Gut- achtern nicht zu beantworten.
Kernbrennstoff/ Brennelemente
e Die Beschaffung von frischen Brennelementen stellt eine wesentliche Randbe- dingung für dieses Szenario dar. Für einen Weiterbetrieb würden sehr viele fri- sche BE in den nächsten Betriebszyklus eingeladen werden müssen. Hinsichtlich der Kernauslegung ergeben sich hier ggf. auf Seiten der Betreiber und des prü- fenden TÜVs einige Herausforderungen. Die Kerne würden von den betriebsbe- währten Kernen der letzten Jahre abweichen und wären daher aus sicherheits- technischer Sicht intensiv aufsichtlich zu begleiten. Erst nach mehreren Nachla- dungen würde sich wieder eine Situation im Gleichgewicht einstellen. Die Prü- fung und Beschaffung (Herstellung) eines vollständigen Reaktorkerns beträgt in der Regel ein bis zwei Jahre.
e Die langfristige Aufbewahrung der zusätzlich anfallenden bestrahlten Brennele- mente in Transport- und Lagerbehältern könnte für einen Zeitraum von bis zu zehn Jahren in den vorhandenen Standortzwischenlagern (voraussichtlich) ge- währleistet werden.
e Die Auslastung der beiden Versorgungsanlagen, insbesondere der Brennele- mentfertigung, ging in den letzten Jahren zurück. Eine deutliche Erhöhung der Fertigungskapazität erscheint zumindest mittelfristig möglich.
Sicherheitstechnische Bewertungen e Die periodischen Sicherheitsüberprüfungen (alle zehn Jahre) der drei Kernkraft- werke hätten an sich zum 31.12.2019 vorgelegt werden müssen. Das war nach dem Atomgesetz nicht erforderlich, wenn die Anlage drei Jahre später abge- schaltet wird. Bei einem Weiterbetrieb wäre also die letzte Sicherheitsüberprü- fung entgegen den gesetzlichen und internationalen Anforderungen dreizehn Jahre veraltet.
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Hinsichtlich der Bewertung der Ermüdung von mechanischen Einrichtungen wurden in der Vergangenheit die festen Endzeiten für sicherheitstechnische Ent- scheidungen herangezogen. Diese Entscheidungen und deren Auswirkungen müssten bei einem geplanten Weiterbetrieb erneut sicherheitstechnisch bewer- tet werden.
Vorbeugende Instandhaltung, Prüfung und Ersatzteilbevorratung
Bei der Planung von wiederkehrenden Prüfungen wie z.B. der Schweißnähte an Rohrleitungen wurde die Abschaltung der Kernkraftwerke eingeplant; es wäre zu klären, inwieweit darüber hinaus Prüfpersonal und Prüftechnik durch externe Dienstleister beschafft werden kann.
Der betriebliche Teil der Kernkraftwerke wurde in den letzten Jahren mit Blick auf einen festen Endzeitpunkt betrieben. Für einen Weiterbetrieb wären hier ggf. Ertüchtigungen erforderlich.
Die Betreiber haben im Hinblick auf die bevorstehende Abschaltung der Kern- kraftwerke ihre Ersatzteilbevorratung ausgerichtet. Inwieweit ausreichend Er- satzteile für das Sicherheitssystem als auch für betriebliche Systeme vorhanden sind wäre zu klären. Hier besteht insbesondere die Problematik, dass manche Bauteile eigens unter besonderen Anforderungen für die Kerntechnik hergestellt wurden und Hersteller dieser Bauteile inzwischen das wirtschaftliche Interesse verloren haben sowie Know-How bereits verloren gegangen ist.
Personal (Eigen- und Fremdpersonal)
Wild
Zum Betreiben eines Kernkraftwerks muss das notwendige Personal zur Verfü- gung stehen. Insbesondere das verantwortliche Personal und das Schichtper- sonal unterliegt dabei im Betrieb hohen Fachkundeanforderungen. Die Ausbil- dung ist zudem in Teilen auf das jeweilige Kernkraftwerk bezogen. Die Betreiber haben ihre Personalplanung auf das Abschaltdatum und die anschließende Still- legung ausgerichtet. Mittelfristig wäre zu klären, inwieweit das ausscheidende Personal weiterbeschäftigt werden oder Ersatzpersonal qualifiziert werden kann. Typische spezielle Ausbildungen des Schichtpersonals gehen von einem Zeitbedarf von zwei bis drei Jahren aus, mit Vorerfahrung sind kürzere Zeiten möglich. Auch die Ausbildungsstätten (z.B. Simulatorzentrum in Essen) haben ihre Infrastruktur und ihr Personal auf den Atomausstieg ausgerichtet, ohne diese Einrichtungen kann allerdings keine Ausbildung erfolgen. Insgesamt wäre somit eine Ausbildungsoffensive aufgrund der in Richtung der Abschaltung der Kernkraftwerke getroffenen Entscheidungen notwendig, um wieder auf den er- forderlichen Stand zu kommen. Die Frage des ausreichenden Personals stellt sich auch für Gutachter und Aufsichtsbehörde.
Dr. Borghoff, Dr. Ulitzsch